Einsamkeit bis in den Tod

Eine Feierstunde für Menschen,die einsam gestorben und beigesetzt worden sind

Schon zum vierten Mal hat am 15. Januar die Neuköllner Gedenkfeier für einsam Verstorbene in der Philipp-Melanchthon-Kirche stattgefunden, die diesmal sogar per Livestream verfolgt werden konnte bzw. angeschaut werden kann (zum Video). Diese Menschen wurden ordnungsbehördlich bestattet – so heißt das im Amtsdeutsch. Das sind Neuköllner*innen, die mit uns in diesem Bezirk gelebt haben, denen wir vielleicht auf der Straße, beim Arzt, im Supermarkt begegnet sind. Das sind Menschen, die allein in ihren Wohnungen oder auf der Straße gestorben sind oder keine Angehörigen hatten, die ihre Asche auf dem Weg zum Grab begleitet haben, und überwiegend im Seniorenalter waren.

Im Jahr 2022 betraf dies 209 Neuköllner Senior*innen und 14 jüngere Menschen, die nun auf dem alten Domfriedhof St. Hedwig in Mitte ihre letzte Ruhestätte fanden und derer in einer Feierstunde gedacht wurde. Schon beim Eintritt in den sakralen Raum strahlte den Besucher*innen eine Lichterspirale im Altarraum ent­gegen und schaffte eine feierliche Atmosphäre. Für jeden Verstorbenen flackerte eine kleine Kerze, und ihre Anzahl machte betroffen. Nach den einstimmenden Orgelklängen von J.S. Bachs »Air« durch die Kantorin Arisa Ishibashi begrüßten die beteiligten Institutionen die in recht großer Anzahl erschienenen Gäste, darunter auch verschiedene Bezirksverordnete, die stellvertretend für viele an dieser Feier teilnahmen.

Anteilnahme am Schicksal dieser Menschen zu Lebzeiten ist eine immer­währende Aufgabe der Gesellschaft, der wir uns besonders auch in der Neuköllner Senioren­vertretung widmen möchten. So sprach Bürgermeister Martin Hikel seinen Dank dafür aus, dass diesen Menschen durch die Gedenk­stunde eine Würdigung zuteilwird und Superintendent Dr. Christian Nottmeier wies auf die Bedeutung des Namens hin, den ein jeder Mensch bei seiner Geburt bekommt, indem er aus dem Alten Testament zitierte: »Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.« Gerhard Paul vom Vorstand der Heilhaus-Stiftung Ursa Paul erläuterte die Bedeutung der Spirale als ein Symbol des Lebensweges von der Geburt bis zum Tod. Anschließend leitete der Pfarrer von St. Clara, Ulrich Kotzur, mit einem berührenden Eintrag aus dem Gästebuch zum Verlesen der einzelnen Namen über.

Und dann hatte jeder Name Raum, bekam Gewicht, durfte wirken. Neben Bürgerinnen und Bürgern verlasen auch die Bildungsstadträtin Karin Korte und Sozialstadt Falko Liecke Namen der Verstorbenen, unterbrochen von musikalischen Beiträgen, die zu Herzen gingen und den Nachhall der Namen verstärkten. Besonders der Klang eines Flötensolos erreichte die Herzen der Gäste, und ein sanftes Gesangsduo beeindruckte, nahm es doch die Bedeutung der Spirale mit den Worten von Ursa Paul und der Musik von Michael Hoffmann auf:

Geburt
das Kommen aus der Liebe
Tod
das Zurückgehen in die Liebe
Der Zwischenraum unser Leben
ein Geschenk,
um diese Liebe in unseren Seelen zu entfalten

Als der Chor vom Freundeskreis für Lebensenergie e.V. gegen Ende mit Gitarren- und Orgelbegleitung das »Halleluja« von Leonard Cohen anstimmte, beteiligten sich auch die Besucher*innen an der würdigen Ehrung der Verstorbenen, indem sie mitsangen.

Den gemeinsamen Abschluss bildete das vom gastgebenden Pastor Jan von Campenhausen und dem katholischen Pfarrer gesprochene »Vater unser«, das viele Teilnehmende mitbeteten.

Obwohl die letzten Orgeltöne zu „Bist du bei mir“ von J.S. Bach schon lange verklungen waren, blieben die Menschen noch minutenlang in Stille sitzen, ehe sie sich zum Austausch bei Getränken und einem kleinen Imbiss trafen. Hier wurde die Atmosphäre leichter und vertiefende Gespräche über die Notwenigkeit, der Einsamkeit durch Aufmerksamkeit, Mitmenschlichkeit und Angebote rechtzeitig zu begegnen, fanden statt. Schließlich wünschen wir uns alle eine liebevolle Sterbebegleitung und einen würdigen Abschied im Kreise von anteilnehmenden Menschen.

Neuköllner Seniorenvertretung

Bestattungsfeld der einsam Verstorbenen.
Alter Domfriedhof St. Hedwig. Liesenstraße 8

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